Belletristik

Rezension | Guillaume Musso – Die junge Frau und die Nacht

Endlich ein neuer Musso! Ich habe dem Erscheinungstermin von Die junge Frau und die Nacht schon monatelang entgegen gefiebert und war voller Freude, als das Buch in der vergangenen Woche bei mir eintraf. Musso zählt zu meinen Lieblingsautoren, ich habe alle seine bisher veröffentlichen Romane gelesen und bin unglaublich neugierig: Wird er sich mit seinem neuen Roman wieder einmal selbst übertreffen? Das wäre nicht das erste Mal.

Begonnen hat meine Liebe zu Musso mit Vielleicht morgen, meinem ersten Roman von ihm. Danach folgten sehr schnell die nächsten – Nacht im Central Park, Nachricht von dir, Vierundzwanzigstunden. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich alle bis dato auf deutsch erschienenen Romane von Musso regelrecht verschlungen. Und jetzt? Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und Warten zählt absolut nicht zu meinen Stärken. Aber, was will man machen?

Irgendwann verließ Musso das Genre Liebesroman und widmete sich dem Krimi, obgleich auch hier zweifelos immer romantische Elemente zu finden sind. Zunächst dachte ich, es sei eine einmalige Sache seinerseits, sich an einem Krimi zu versuchen. Doch nachdem es nun bald eine Handvoll Krimis (oder vielleicht sogar Thriller) von ihm gibt, scheint Musso ein neues Genre für sich entdeckt zu haben. Und ich muss sagen: War ich anfangs noch ein wenig skeptisch, freue ich mich mittlerweile sehr über jeden neuen Krimi von ihm. Spannung erzeugen und fiese Cliffhanger erschaffen kann er nämlich ziemlich gut. Schauen wir uns seinen neuen Roman nun einmal genauer an!

Die junge Frau und die Nacht

Auch sein neuer Roman Die junge Frau und die Nacht ist ein Krimi und hält eine Besonderheit bereit: Es ist Mussos erster Roman, der in Antibes an der Côte D’Azur spielt. Nachdem seine Romane häufig in New York – der Stadt, in der alles möglich scheint – oder in Paris spielen, freue ich mich, dass diesmal der Ort seiner Kindheit als Schauplatz ausgewählt wurde. Das merkt man dem Roman auch an. Man spürt, wie viel Herzblut Musso in die Geschichte hat einfließen lassen, der Schreibstil mit seinen detaillreichen Beschreibungen ist unglaublich mitreißend.

Die junge Frau und die Nacht spielt am Saint Éxupery College in Antibes, in dem Thomas zur Schule ging, bevor er Schriftsteller wurde und nach New York (da ist es wieder) zog. In diesem Campus-Thriller dreht sich alles um das mysteriöse Verschwinden von Vinca Rockwell, das nun mittlerweile 25 Jahre zurückliegt. Thomas erhält von seinem besten Freund Maxime eine Einladung zur Jubiläumsfeier seines alten Gymnasiums und mit dieser Nachricht werden alte, unbequeme Erinnerungen bei ihm wach.

1992, das letzte Mal, als er an seiner ehemaligen Schule war, verschwand seine Jugendliebe Vinca spurlos. Man sagt, die damals 19-jährige sei mit einem Lehrer durchgebrannt, mit dem sie eine Liason hatte. Doch Thomas und auch Maxime wissen, dass dies nicht die Wahrheit ist. Der Lehrer starb nämlich in jener Nacht – und zwar durch ihre Schuld. Gemeinsam ließen sie die Leiche verschwinden, diskret und ohne großes Aufsehen. Doch nun – nach 25 Jahren – scheint jemand hinter ihr Geheimnis gekommen und ihnen auf den Fersen zu sein. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

Mitreißend, lebendig, detaillreich

Bereits nach wenigen Seiten spürte ich eine weitere Besonderheit an diesem Roman. Ich glaubte, als Leser einen Wissensvorsprung zu haben und den Fall gewissermaßen von hinten aufzurollen, immerhin vertraute mir Thomas direkt auf den ersten Seiten an, dass er jemanden umgebracht hat. Doch wie sich herausstellen sollte, irrte ich mich gewaltig. Hier kommt ein typisch musso-eskes Stilmittel zum Einsatz: Die Story wird ständig geschüttelt und auf den Kopf gestellt. Immer, wenn man der Meinung ist, man habe ein Puzzleteil gefunden, endet das Kapitel mit einem fiesen Cliffhanger, der alle Spekulationen negiert und den Leser wieder von vorne beginnen lässt zu rätseln. Das mag ich sehr gerne, auch, weil ich mir sicher sein kann, dass Musso am Ende daraus eine stimmige Geschichte macht, die nicht konstruiert sondern authentisch wirkt.

Apropos authentisch. Man merkt deutlich, dass Musso mit Antibes zahlreiche Kindheitserinnerungen verbindet und den Ort wie seine Westentasche kennt. Dies lässt den Roman stimmig wirken, zu keiner Zeit habe ich das Gefühl, als würde hier ein Element nicht passen. Doch diese Begeisterung hat auch einen etwas bitteren Beigeschmack. Manchmal hatte ich das Gefühl, Musso ist bei seinen Beschreibungen ein wenig überambitioniert, denn oft wurden Dinge bis ins kleinste Detail ausführlich geschildert, denen auch eine kürzere Schilderung gut getan hätte.

Versteht mich nicht falsch, ich mag es, wenn ich mir als Leser ein umfassendes Bild von der Umgebung und vor allem dem Geschehen machen kann. Erst dann kann ich bei einem Krimi oder Thriller richtig abtauchen und miträtseln. Doch gleichzeitig zieht das den Roman unverhältnismäßig in die Länge. Ich hatte den Eindruck, dass auf den ersten 250 Seiten kaum etwas passiert. Es fühlte sich ein wenig so an, als trete man auf der Stelle. Das ist ein wenig schade, da ich das so nicht von Musso gewohnt bin. Normalerweise bekommt man Spannung von der ersten bis zur letzten Seite geliefert. Diesmal setzte die Spannung erst im letzten Drittel ein und überrumpelte mich zugegebenermaßen, denn auf einmal passiert unglaublich viel in unfassbar kurzer Zeit. Nanu?

Ein weiteres Element, dass ich an Mussos Romanen sehr schätze und er auch diesmal wieder hervorragend umgesetzt hat, sind seine Charaktere. Ich mag es, dass er komplexe Figuren erschafft, die mir jedes Mal vor meinem geistigen Auge erscheinen und mich die komplette Story und oft auch darüber hinaus begleiten. Noch heute habe ich teilweise Figuren aus seinen Romanen im Kopf, auch, wenn die Lektüre bereits einige Jahre zurückliegt. Das ist eine wahnsinnig wertvolle Eigenschaft, die Mussos Romane zu etwas ganz Besonderem machen.

Eine Nacht, die alles verändert

Auch, wenn der Roman seine Längen hat und diesbezüglich ein wenig ausgewogener sein könnte, und ich sowohl Titel als auch das Cover als ein wenig unglücklich gewählt empfinde, finde ich Die junge Frau und die Nacht insgesamt sehr gelungen. Es ist eine Geschichte mit ungeheurem Potential. Die Idee ist wirklich schön und die Tatsache, dass ich das Buch  trotz seiner über 400 Seiten innerhalb kürzester Zeit gelesen habe, bestätigt dies. Die Cliffhanger am Ende jeden Kapitels lassen den Roman zu einem Page Turner werden, doch das nächste Kapitel liefert nicht die erhofften Informationen, sondern führt einen weiteren Erzählstrang ein, der weitere Rätsel aufwirft. Musso arbeitet gerne mit verschiedenen Zeitebenen und auch hier gibt es zahlreiche Rückblenden.

Das mag ich immer sehr gerne, denn auf diese Weise erhält der Leser viele wertvolle Informationen, um sich ein eigenes umfassendes Bild von dem zu machen, was damals in Antibes am College passiert ist. Aber apropos Informationen. Ich bin erstaunt, wie freizügig die Figuren in diesem Roman mit sämtlichen Informationen umgehen. Ich hätte nicht gedacht, dass es für Thomas ein so leichtes Unterfangen wird, in so kurzer Zeit derart viel über Vincas Verschwinden herauszufinden – und das, ohne das irgendjemand misstrauisch wird.

Zunächst machte mich das ein wenig skeptisch, aber vielleicht liegt der Schlüssel in der Gesellschaftsschicht, in der dieser Roman spielt. Am Saint Éxupery College werden die Kinder und Jugendlichen von den Schönen und Reichen der Côte D’Azur unterrichtet, hier zählt Geld und vor allem Ansehen mehr als alles andere. Ich kann mir vorstellen, dass die Informationen bedenkenlos weitergegeben werden, weil sich selbst niemand verdächtig machen möchte und ein kritisches Hinterfragen nur unnötige Aufmerksamkeit erzeugen würde. Wer weiß schon, wer hier alles etwas zu verbergen hat.

Perfekter Thriller für den Sommer

Ich habe wirklich lange auf den neuen Musso gewartet und wurde nicht enttäuscht. Besonders schön finde ich, dass Die junge Frau und die Nacht in Mussos Stadt der Kindheit spielt und man in jeder Zeile spürt, wie viel Herzblut Musso hier hat einfließen lassen. Er schreibt unglaublich mitreißend, detaillreich und spannend. Die erschaffenen Figuren sind allesamt unglaublich komplex und selbst Vinca, die für ihre Mitschüler ein großes Vorbild war, ist alles andere als perfekt. Und das finde ich gut, denn so wirkt alles zusammengenommen stimmig und authentisch.

Wieder einmal hat Musso bewiesen, dass er sein Handwerk beherrscht und einen erstklassigen Roman abgeliefert. Es ist zweifelos sein persönlichster Roman, auch, wenn er im Nachwort deutlich zum Ausdruck bringt, dass dies Thomas‘ und nicht seine Geschichte ist. Allein, dass Antibes zum Schauplatz wird, empfinde ich als enorm persönlich.

Der neue Musso – spannend, atemberaubend, persönlich. Die junge Frau und die Nacht bekommt von mir eine klare Leseempfehlung und lege ich jedem ans Herz, der noch auf der Suche nach einem Thriller für den Sommer ist.


Vielen Dank an Piper für das Bereitstellen des Rezensionsexemplares.

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