Thriller

Rezension | Caroline Eriksson – Die Beobachterin

Jeder, der mich ein wenig besser kennt, weiß, dass ich ziemlich entscheidungsunfreudig bin. Ich stehe oft sehr lange vor meinem Bücherregal und frage mich, welches Buch ich als nächstes lesen möchte. Habe ich mehr Lust auf einen Krimi oder soll es doch ein Wohlfühlroman werden? Etwas mit Action oder etwas Ruhiges? Historisch oder Zeitgenössisch? Es gibt so viele Parameter, die man bei seiner Entscheidung beachten und die Auswahl damit unnötig verkomplizieren kann. Das ist unglaublich nervig, aber so bin ich nun einmal.
Wenn ich mich zwischen mehreren Möglichkeiten entscheiden kann, entscheide ich mich oft gegen sämtliche Optionen. Beim Buchkauf in einer Buchhandlung bedeutet dies beispielsweise, dass ich oftmals den Buchladen ohne ein Buch wieder verlasse, weil ich mich schlichtweg nicht entscheiden kann. Ja, ich gebe zu, das ist ein wenig verrückt.

Im Falle des Buches, das ich euch heute vorstellen möchte, ging er mir ähnlich. Ich wollte schon sehr lange einen Thriller lesen, in dem man als Leser – gemeinsam mit dem Protagonisten – die Beobachterposition einnimmt und Menschen ungefragt in ihren eigenen vier Wänden beobachtet. Ich war unglaublich neugierig, wie so etwas schriftstellerisch umgesetzt und in einem Roman aufbereitet wird. Der Buchmarkt hält hier ja mittlerweile eine schöne Auswahl bereit und – nach langer Entscheidungsphase – habe ich mich für Die Beobachterin von Caroline Eriksson entschieden und – so viel vielleicht schon einmal vorweg – ich habe meine Entscheidung nicht bereut.

Elena, die Beobachterin

Elena wohnt in einem kleinen Häuschen in einem schwedischen Vorort. Frisch von ihrem Mann getrennt und ohne feste Beschäftigung, zieht sich Elena immer mehr von ihrer Umwelt zurück und verbringt die meiste Zeit des Tages allein in ihren vier Wänden. Aus dem Küchenfenster kann sie das Haus der Nachbarn sehen, das sich auf der anderen Seite des Hinterhofs befindet. Schon bald wecken die Ereignisse, die sich dort hinter den Fenstern zutragen, Elenas Interesse. Nachdem sich Leo, der Sohn der Familie, mit Elena anfreundet und ihr einige pikante Details aus seinem Leben erzählt, ist sie sich sicher, dass sich im Nachbarhaus schon bald eine Tragödie ereignen wird.

Spannend, fesselnd, originell

Nachdem das Buch bei mir eingetroffen ist, habe ich direkt begonnen, es zu lesen. Eriksson schreibt derart flüssig und fesselnd, dass ich das Buch nach zwei Tagen bereits beendet hatte. Ich konnte es einfach nicht aus der Hand legen. Schon nach wenigen Seiten war ich vollständig in der Story, ganz so, als sei ich selbst in Elenas Haus und beobachte sie dabei, wie sie die Nachbarn beobachtet. Das ist irgendwie verrückt, gleichzeitig aber auch unglaublich spannend.

Was mir außerdem unwahrscheinlich gut gefallen hat, ist, dass der Thriller fast vollständig in Elenas Küche und dem Nachbarhaus spielt. Ganz so, als sei der kleine Hinterhof mit den beiden Häusern ein ganz eigenes Universum. Auch, dass Eriksson mit einer Handvoll Figuren auskommt, um einen spannenden Thriller zu schreiben, finde ich fantastisch. Gerade für mich, die bei einer Vielzahl an Schauplätzen und Charakteren in Büchern gerne einmal den Überblick verliert, ist das großartig.

Realität oder Imagination?

Mit zunehmender Seitenzahl wurde es gleichzeitig aber auch zunehmend verwirrend. Zumindest habe ich das so empfunden. Im ersten Moment konnte ich die Geschehnisse nicht so recht einordnen. Ohne zuviel vorweg zu nehmen: Was geschieht wirklich? Was ist Imagination? Hier hätte ich mir ein paar eindeutigere Hinweise gewünscht, die mich als Leser nicht so lange im Dunkeln herumirren lassen. Am Ende fügt sich aber alles zusammen und ergibt ein einheitliches Bild und lässt den Thriller rund wirken.

Apropos Thriller. Ich muss ehrlich sagen, dass es diese Bezeichnung war, die mich zu Beginn ein wenig zurückschrecken lies und ich zuerst nicht nach diesem Buch gegriffen habe. Auch, wenn mir bewusst ist, dass nicht alle Thriller gleich sind, verbinde ich damit doch immer eine blutrünstige und vor allem brutale Handlung. Und das ist auch der Grund, weswegen ich so viel lieber Krimis lese als Thriller. Gerade auch der Klappentext ist mit „Megathriller“ überschrieben und lief mich ein wenig unsicher werden.

Letztendlich verstehe ich aber nicht, was Die Beobachterin zu einem Thriller macht. Klar, die Handlung ist spannend und fesselnd, erzeugte bei mir jedoch keinen derartigen Nervenkitzel, den ich mit dem Lesen von Thrillern verbinde. Die Handlung ist nicht so intensiv, wie ich angenommen habe. Ich rechnete mit einer deutlich obessiveren Vorgehensweise Elenas. Wobei dies nicht missverstanden werden soll. Gerade die Tatsache, dass es – zumindest nach meinem Verständnis – kein typischer Thriller ist, lässt die Geschichte für mich interessant werden.

Schlussbetrachtung

Ich habe die Lektüre von Die Beobachterin sehr genossen und habe mich den kompletten Thriller hindurch sehr gut unterhalten gefühlt. Eriksson schreibt flüssig und fesselnd und man findet sich als Leser bereits nach wenigen Seiten inmitten dem Geschehen, an Elenas Küchentisch, gemeinsam den Blick gen Nachbarhaus gerichtet, wieder.

Beeindruckend finde ich, dass Eriksson den Thriller fast ausschließlich an ein und demselben Schauplatz spielen lässt – fast schon so, als wäre es ein Theaterstück mit einem einzigen Bühnenbild. Außerdem punktet bei mir die Beschränkung auf eine Handvoll Figuren ganz entschieden und ich bin mir sicher, dass diese Entscheidung der Autorin dazu beigetragen hat, dass mir Die Beobachterin so gut gefallen hat. Endlich einmal kein wildes Herumrätseln und Kombinieren, wo es nicht nötig ist. Das finde ich wirklich sehr schön.


Vielen Dank an Penguin für das Zusenden des Rezensionsexemplares.

3 Kommentare

  • Fraggle

    Es geht doch nichts über eine handfeste Entscheidungsneurose in literarischer Hinsicht. 😉 Ich bin da ganz genauso!

    Dass das Wort „Thriller“ mittlerweile die Assoziation „blutrünstige und vor allem brutale Handlung“ hervorruft, ist meiner Meinung nach eine Entwicklung der letzten Jahre, in denen das Genre zunehmend von irgendwelchen Serienkillern und/oder Ritualmördern bevölkert wird, die ihre Opfer um des bloßen Effektes willen augenscheinlich auf möglichst blutrünstige Art vom Leben zum Tod befördern müssen, weil man seitens der Verlage und/oder Autoren mittlerweile offensichtlich davon ausgeht, dass man mit – wenigstens teilweise – gewaltfreier Spannung keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlockt. Eine Entwicklung, die ich eher schade finde. Und die auch irgendwie bedenklich ist, wenn man mal genauer darüber nachdenkt.

    • Literally Sabrina

      Hey!

      Ganz lieben Dank für deinen Kommentar.

      Es beruhigt mich ungemein, dass ich mit meiner Entscheidungsunfreudigkeit nicht alleine bin. Es gibt einfach zu viele gute Bücher und man möchte die wenige Lesezeit, die man oft hat, eben einfach bestmöglich nutzen.

      Ich glaube auch, dass diese Brutalität und Blutrünstigkeit erst in den letzten Jahren sich so extrem entwickelt hat. Ich kann mir auch eine Handvoll Autoren (und vermutlich auch die Verlage dahinter) vorstellen, die dafür verantwortlich sind. Aber ich denke gleichzeitig auch, dass die Verlage es nicht von den Autoren fordern bzw. nachfragen würden, wenn die Nachfrage bei der Leserschaft nicht da wäre. Für mich ist das Genre „Thriller“ aber genau deswegen zu einem zu großen Minenfeld geworden und die Quote, dass ich zu einem für meine Verhältnisse zu brutalen Buch greife, ist mir einfach zu hoch. Irgendwie schade, denn so hätte ich beinahe dieses tolle Buch hier verpasst.

      Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!

      Viele Grüße
      Sabrina

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