Belletristik

Rezension | Laetitia Colombani – Der Zopf

Seit einigen Wochen kann man Der Zopf von Laetitia Colombani auf vielen Literaturblogs und auch auf den Social Media Kanälen wiederfinden. Auch, wenn das Cover sehr ansprechend gestaltet ist und genau meinem Geschmack entspricht, habe ich mich erst so richtig mit diesem Roman auseinandergesetzt, als er auf vorablesen verlost wurde.

Nachdem der Klappentext mein Interesse geweckt hat, habe ich die Leseprobe heruntergeladen und regelrecht verschlungen. Auch, wenn dieser Roman eigentlich nicht in mein gewöhnliches Lese-Repertoire passt, so musste ich einfach einen Leseeindruck verfassen und damit an der Verlosung teilnehmen. Weil ich einfach herausfinden wollte, nein musste, wie diese drei Lebensgeschichten bzw. -schicksale miteinander verflochten sind.

Laetitia Colombani – Der Zopf

Dass ich dieses Buch innerhalb von zwei Abenden durchgelesen habe, sagt wahrscheinlich schon sehr viel aus. Klar, der Roman erstreckt sich auf gerade einmal 282 Seiten, die zudem noch viel Weißfläche enthalten, aber das (allein) ist nicht der Grund für meinen raschen Lesefortschritt.

In diesem Buch werden drei Lebensgeschichten von Frauen vorgestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jeder Frau wird ein Kapitel gewidmet und nachdem jede vorgestellt wurde, beginnt es wieder von vorne. Diese Struktur wird (bis auf eine kleine Ausnahme) bis zum Ende des Buches beibehalten. Das gefällt mir sehr gut.

Zuerst lernen wir Smita kennen. Zusammen mit ihrem Mann und ihrer sechsjährigen Tochter lebt sie in Nordindien. Sie sind Dalits – Unberührbare – und damit der untersten Kaste zugehörig. Sie verrichten niederste Arbeit und es gibt keinerlei Möglichkeit auf gesellschaftlichen Aufstieg. Einmal eine Unberührbare, immer eine Unberührbare. Doch Smita möchte sich damit nicht abfinden. Sie wünscht sich für ihre Tochter Lalita eine bessere Zukunft. Sie soll zur Schule gehen und eine Ausbildung absolvieren können. Dafür setzt Smita alles aufs Spiel.

Im Anschluss daran lernen wir Guilia kennen. Sie lebt in Palermo, Sizilien und arbeitet dort in der Fabrik ihres Vaters, in der Perücken hergestellt werden. Diese Fabrik ist die letzte ihrer Art in Sizilien und nachdem Guilia bemerkt, dass die Geschäfte nicht gut laufen und das Unausweichliche unmittelbar bevorsteht, trifft sie eine weitreichende, vielleicht alles verändernde Entscheidung.

Zuletzt lernen wir Sarah kennen. Sie ist eine erfolgreiche Anwältin in Kanada und obwohl sie Mutter von drei Kindern ist, lebt sie für ihren Job. Doch als sie an Brustkrebts erkrankt, verliert sie immer mehr ihre Professionalität in ihrem Beruf und auch die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben – zwei Bereiche, die sie bisher immer streng voneinander trennte – verschwimmen immer mehr.

Überzeugendes Gesamtpaket!

Colombani erzählt flüssig und ansprechend, die Seiten fliegen nur so dahin. Der Roman kommt – auch hier wieder bis auf ein paar kleine Ausnahmen – fast vollständig ohne wörtliche Rede aus, wodurch das Geschriebene, die drei Lebensschicksale, noch viel eindringlicher wirken.

Schon nach den jeweils ersten Abschnitten der drei Frauen habe ich ein Bild von Smita, Guilia und Sarah und vor allem einen ersten Eindruck von ihren Leben.  Und diese Eindrücke werden mit jedem Abschnitt intensiver.

In Smitas Abschnitten kann man in jeder Zeile die Ausweglosigkeit spüren, es fühlt sich regelrecht bedrückend an. Wenn ich Smitas Geschichte lese, habe ich einen Kloß im Hals. Vermutlich hängt das auch damit zusammen, dass Smitas Geschichte (für uns) so fremd wirkt, einfach weil es nicht unsere Lebenswirklichkeit ist. Sowohl mit Guilias als auch mit Sarahs Geschichte können wir uns leichter identifizieren, es könnte das Schicksal einer Freundin oder gar von uns selbst sein. Dadurch wirken sie aber nicht weniger bedrückend.

Spürt man bei Guilia zu Anfang noch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, weicht dieses Gefühl im Verlauf doch ziemlich schnell. Traurigkeit und vor allem Ausweglosigkeit machen sich in jeder Ecke von Guilias Leben breit. Sie weiß nicht weiter. Aber auch Sarah empfindet dieses – für sie vermutlich ungewöhnliche – Gefühl der Ausweglosigkeit, ja der totalen Willkür und des bedingungslosen Ausgeliefertseins.

So unterschiedlich die drei Lebensgeschichten auch sein mögen, in diesem Punkt stimmen sie alle überein: Sie haben alle ihr ganz eigenes Päckchen zu tragen, aber sie sind mutig und kämpfen gegen die Widerstände des Lebens.

Auch, wenn sich bereits nach dem Klappentext Vermutungen aufstellen lassen, wie diese drei Lebensgeschichten miteinander verbunden sind, so schmälert das für mich nicht die Qualität des Romans. Es ist kein Krimi oder Thriller, bei dem der Leser bestenfalls bis zum Ende im Ungewissen bleibt.
Vielmehr entsteht für mich die Spannung dadurch, dass ich abwechselnd Ausschnitte aus den Leben der drei Frauen präsentiert bekomme und diese Abschnitte oft so enden, dass ich am Liebsten die Abschnitte der beiden anderen Frauen überspringen und direkt an die Geschichte der Frau anknüpfen möchte, die ich gerade lese. Die episodenhafte Erzählstruktur hält meiner Meinung nach den Spannungsbogen ganz hervorragend aufrecht.

Ich mag es zudem sehr, dass der titelgebende Gegenstand des Romans mit der Erzähltechnik verschmilzt. Smitas Haarpracht, konserviert in einem Zopf, macht eine Reise um die Welt und verflicht damit gleichzeitig die Leben dreier Frauen miteinander. Wenn man sich dies bildlich vorstellt, ist es – zumindest in meinen Augen – einerlei, ob man schon im Vorhinein erahnen kann, wodurch die drei Frauen verbunden sind. Denn hier profitiert der Roman ganz klar von der bildhaften Sprache und dass er am Ende alles ineinander und miteinander vereint.

Schlussbetrachtung

Insgesamt hat mir Colombanis Der Zopf sehr gut gefallen, entgegen aller Kritiken spreche ich eine Leseempfehlung für diesen Roman aus. Mag er auch Klischees bedienen und mit Smita, Guilia und Sarah stereotype Charaktere erschaffen haben, so möchte ich doch festhalten, dass mir die Umsetzung ganz hervorragend gefallen hat.


Vielen Dank an den Fischer Verlag und vorablesen.de für das Zusenden dieses Rezensionsexemplares.

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